Wasserstoff – die Nummer 1 der Elemente mit riesigen Ambitionen und genauso großen Auswirkungen auf eine Zulieferindustrie

Die Nutzung von Wasserstoff als Energieträger der Zukunft wird überall gepriesen. Ob grauer, blauer oder grüner Wasserstoff – ohne ihn wird es keinen sinnvollen ökologischen Wandel in Deutschland sowie auf der gesamten Welt geben. Auch diese Technologie wird wieder zu einem großen Teil auf der Innovationskraft des Mittelstands aufbauen, um aus Ideen industriell nutzbare Produkte entstehen zu lassen. Und wie so oft werden die Wege kapitalintensiv und von einem internationalen Wettbewerb geprägt sein.

CRESCAT hat sich darüber mit einem ausgewiesenen Industrieexperten, Herrn Stefan Derichs, unterhalten:

 

Frage 1: Herr Derichs, in der Öffentlichkeit wird Wasserstoff derzeit in der Regel mit Energiegewinnung in Verbindung gebracht. Geben Sie uns bitte einen kurzen Einblick, wie groß der Eisberg der Nutzung unterhalb der Wasseroberfläche ist.

Die Einsatzgebiete sind mannigfaltig! Vom Einsatz in der Stahl- und Chemieindustrie bis hin zum Mobilitätssektor als Kraftstoff für Brennstoffzellen eröffnen sich zahlreiche Anwendungsbereiche. Experten prognostizieren einen Jahresumsatz von ca. 800 Milliarden Euro bis 2050 in Europa; und damit mehr als doppelt so viel wie die europäische Automobilbranche in 2021 erwirtschaften wird!

Bei der reinen Stromerzeugung wird Wasserstoff zunächst kein zentraler Treiber für die Entwicklung der Wasserstoff-Wirtschaft sein. Von hohem Interesse beim Thema Netzausgleich ist allerdings die Flexibilität der Fahrweise von Elektrolyseuren sowie die gute Speicherbarkeit von großen Mengen an Wasserstoff. Dies trägt zur besseren Systemintegration von erneuerbaren Energien bei und leistet somit auch einen Beitrag zur Versorgungssicherheit, welcher in den kommenden Jahren eine Schlüsselrolle in den Industrienationen zukommen wird.

Da die verarbeitende Industrie ein bedeutender Verursacher von CO2 Emissionen ist, wird sich dieser Bereich kurz- und mittelfristig mit der verstärkten Substitution von Ausgangsmaterialien (Feedstock) und Brennstoffen befassen. Besonders große Potenziale weist der Einsatz von Wasserstoff in der Stahlindustrie und der chemischen Industrie auf. Auch in der energieintensiven Glasschmelze wird Wasserstoff einen Ersatz für Erdgas darstellen. Um die bestehenden Produktionsanlagen, welche gegenwärtig einen sehr hohen Capex Bestand darstellen, auch zukünftig nutzen zu können, bedarf es der weiteren Entwicklung von flexibel betreibbaren Anlagen, die mit wechselnden Feedstocks und Volumenströmen zurechtkommen.

Alleine dieser Bereich birgt in sich bereits ein gewaltiges Potenzial für den internationalen Anlagenbau sowie die Zulieferindustrie von hochwertigen Spezialprodukten.

 

Frage 2: Haben mittelständische Unternehmen in dieser (internationalen) Wertschöpfungskette Chancen, sich zu behaupten?

Selbstverständlich! Der Mittelstand wird intensiv involviert sein; und zwar so erfolgreich, wie bisher in der chemischen Industrie, dem Öl- und Gas-Sektor, der Metallurgie oder anderen Segmenten der Prozessindustrie. Beispielsweise bei folgenden technischen Produkten:

• Elektrolyseure
• Regel-, Sicherheits- und Absperrarmaturen
• Tanks, Reservoirs, Behälter
• Rohrleitungen, Schläuche, Kanalsysteme
• Kompressoren, Turbinen
• Reaktoren und Wärmetauscher

Aber natürlich auch in Spezialbereichen des Anlagenbaus.

 

Frage 3: Wie kann sich der deutsche Mittelstand idealerweise strategisch positionieren, um vom steigenden Wachstumsmarkt in der Wasserstoffbranche zu profitieren ?

Es gilt die bewährte Strategie des Mittelstandes: neben Produkten auch Lösungen zu entwickeln. Und zwar immer am Kundennutzen orientiert und – wie in der Vergangenheit auch – mutig, sprich innovativ sein, die Digitalisierung integrieren und sich wenn möglich von Commodity Märkten fernhalten, die inzwischen fest in asiatischer Hand sind.

Ich kann mir auch eine Zunahme von Kooperationen und Corporate-JVs vorstellen; diese werden sicher auch häufiger anzutreffen sein.

 

Frage 4: Was werden die limitierenden Faktoren für den Mittelstand sein ?

Für den Mittelstand sind es wie eh und je gut qualifizierte Mitarbeiter. Der kommende Strukturwandel in einigen Regionen dürfte deutliche Besserung in dieser Hinsicht bringen.

Ein anderer, aber deutlich gravierender Faktor ist die limitierte Verfügbarkeit von Kapital. Die Kapitalerfordernisse sind inzwischen deutlich höher als in der Vergangenheit und oft nicht mehr mit der herkömmlichen und weiterhin restriktiven – auf klassische Sicherheiten basierenden – Bankkreditvergabepolitik vereinbar.

Wünschenswert wären alternative Kapitalgeber für flexible, an den Bedürfnissen und Cash Flows der Vorhaben orientierte Finanzierungen, beispielsweise von Produktentwicklungen, international wettbewerbsfähige Modernisierungen der Fertigungen sowie dem Aufbau von Auslandsmärkten und JVs.

Herr Derichs – wir bedanken uns für Ihre Einblicke in diese zukunftsweisende Industrie!

 

Herr Stefan Derichs ist seit 2020 selbstständiger Unternehmensberater und war zuvor tätig als Vice President und Leiter des Geschäftsfeldes Oil & Gas der weltweit tätigen Engineering-Unternehmensgruppe Paul Wurth. Davor war Herr Derichs Managing Director der Z&J Technologies, einer der weltweit führenden Hersteller von Absperreinrichtungen für Chemie- und Petrochemieanlagen sowie für die Stahl- und Glaserzeugung (heute ein Unternehmen der in UK börsennotierten IMI Plc Group).

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